Stadtentwicklung

„HVV für lau“ – Eine Frage des Wollens, nicht des Könnens

Den umlagefinanzierten HVV hatte die Piratenpartei zur letzten Hamburg-Wahl als eine ihrer Kernforderungen im Programm. Umso mehr begrüßen wir, dass dieses Thema jetzt verdientermaßen auf der politischen Agenda landet. Gesteigerte Mobilität ist ein stetig wachsendes Grundbedürfnis aller Menschen. Gesellschaftliche Teilhabe und ein gelebtes soziales Umfeld werden durch die Überbrückung räumlicher Distanzen erst möglich. Die vielfältige Flächennutzung einer wachsenden Stadt braucht Fortbewegung ihrer Bewohner.

Lange Zeit lag das verkehrspolitische Hauptaugenmerk in der Hansestadt auf dem Individualverkehr und dem Ausbau der dafür benötigten Infrastrukturen. Der tägliche Verkehrskollaps ist nur ein Indikator, dass dieses Konzept gescheitert ist. Längst wächst der Unmut über die anhänglichen Nachteile, wie Lärm, Umweltverschmutzung, Gesundheitsgefahren und übermäßige Beschneidung des öffentlichen Raums zu Gunsten der Bedürfnisse des Autoverkehrs.

Die Forderung einer „kostenfreien“ Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ist keineswegs als Angriff auf die Autofahrer zu sehen, auch sie würden ihre Vorteile daraus ziehen. Aktuell profitiert kein Teil der Gesellschaft von der momentanen Ausrichtung unserer Verkehrspolitik – es herrscht dauerhafter Stillstand unter Inkaufnahme erheblicher Beeinträchtigungen an Lebensqualität. Durch einen Ausbau des HVV und der umlagefinanzierten Nutzung entstehen Vorteile für sämtliche Verkehrsteilnehmer. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Auto, mit Bus und Bahn oder in jeder erdenklichen Kombination: der Verkehrsfluss findet wieder statt, ohne einzelne Gruppen auszuschließen. Verkehr funktioniert nur in kooperativer Rücksichtnahme aufeinander und mit einem Ausbau des Angebots für den Großteil der Gesellschaft.

Der „HVV für lau“ ist eine große Chance, gemeinnützig und finanzierbar. Will Hamburg diese Pionierrolle einer modernen Metropole einnehmen und Mobilität für alle Einwohner und Besucher ermöglichen? Es gibt etliche Möglichkeiten, die fehlenden Einnahmen, ebenso wie die zu erwartenden Mehrausgaben, zu kompensieren, wenn der Senat sich haushaltspolitisch dazu bekennt. Eine Kombination von Kurtaxe, Steueranhebung, Verkehrshaushaltsumwidmung, Einsparungen, Parkplatzgebühren und Pendlerabgaben lässt eine verträgliche Finanzierung ohne Übervorteilung zu. Hierbei hilft das Verständnis, dass schon jetzt ein Großteil der Kosten sämtlichen Verkehrs unabhängig der individuellen Nutzung von der Allgemeinheit getragen wird. Die Schaffung von Infrastrukturen und ihre Aufrechterhaltung ist eine wesentliche Aufgabe des Staats.

Die Piratenpartei wünscht sich eine Stadt Hamburg, in der man sich frei bewegen kann. Eine Stadt, die noch lebenswerter wird und in der Mobilität nicht vom Einkommen abhängig ist. Wir erwarten von einem „kostenfreien“ ÖPNV steigende Besucherzahlen und wachsende Umsätze im innerstädtischen Raum und den vielen Zentren, Kiezen und Kulturveranstaltungen in ganz Hamburg. Hamburg ist es wert – für alle.

7 Kommentare zu “„HVV für lau“ – Eine Frage des Wollens, nicht des Könnens

  1. Michael Melter

    Moin Hamburger Piraten, moin Claudius,

    finde eure heutige Mitteilung sehr gut. Auch wenn „für lau“ ja nicht stimmt. Könnt ihr mich über eure internen Berechnungen aufklären?

    Ich verhandle/rechne gerade in Berlin zusammen mit dem AGH, dem Verkehrssquad und mit BVG und S-Bahn an Modellen. Gleiches in Zusammenarbeit mit NRW.

    Habt ihr einen direkten Ansprechpartner in Hamburg für ÖPNV?

    Ich bin in Berlin seit kurzem der Landesbeauftragte für ÖPNV und koordiniere die Informationen/Berechnungen/Pläne zum ticketlosen ÖPNV.

    Freue mich von euch zu hören,

    Beste Grüße

    Michael Melter twitter: ingwerbaer
    Landesbeauftragter ÖPNV
    Pressesquad

  2. Großartig!

    Ich möchte noch anregen die „nutzungsunabhängige Finazierung“ des HVV schrittweise einzuführen. So besteht für den HVV die Möglichkeit das Angebot kontinuierlich anzupassen. Sonst kann kein Umsteiger gehalten werden.

    Jetzt wird es noch ein wenig wilder: Die freie Fahrt ist kein Geschenk. Sonder sie beruht auf einem Codex a la Helfe denen, die es brachen und grüße eine Person pro Fahrt. …Ich male mir schon gesamtgesellschaftliche Konsequenzen aus.

    Klar machen zum ändern!

  3. Problem in Hamburg dürfte sein, dass das heute bestehende Netz nicht wesentlich mehr Nutzer verträgt. Das meint besonders den Busverkehr, der teilweise an der absoluten Auslastungsgrenze kratzt. Es müsste erst investiert werden, um die nötigen Kapazitäten zu schaffen – zum Beispiel durch die Stadtbahn auf den Kernachsen des Metrobus-Netzes. Die wurde nun aber leider bekanntlich erst jüngst vom SPD-Senat abgesägt. Das „beste Busnetz Europas“ als Ersatz steht erstens auf Jahre in den Sternen und wird zweitens wohl nicht ansatzweise soviel Mehrkapazität schaffen.

    Ergo: HVV-Umlagefinanzierung ist eine großartige und sinnvolle Idee. Aber in näherer Zeit einfach nicht umsetzbar, ohne das Netz in den Kollaps zu treiben.

  4. Holger Schwier

    Was kosten die Tickets den HVV / Hamburg?
    – Unterhaltung / Erneuerung von Fahrkartenautomaten inkl. Tickets, Software, Handyticket etc.
    – Verwaltung dieser Einnahmen
    – Abstellen von Personal zur Ticketkontrolle
    – Eintreiben von „erhöhtem Fahrgeld“
    – ggf. Polizei zur Identitätsfeststellung / Eröffnung Strafverfahren
    – Eintreiben der Geldstrafe etc. möglicherweise Ersatzfreiheitsstrafe (Hafttag Hamburg laut Berliner Zeitung vom 04.01.2008 fast 115€ , (http://www.berliner-zeitung.de/archiv/in-berlin-sind-gefaengnisse-billiger-als-in-anderen-laendern-ein-tag-knast-kostet-88-70-euro,10810590,10529662.html))

    Was bringt es?

    – Personen, die ein Auto grundsätzlich benötigen, fahren möglicherweise mehr HVV (Auto+Karte ist vielen zu teuer)
    – Mehr Personen im Nahverkehr heißt grundsätzlich mehr Werbeeinnahmen (s. Allianz deutscher Designer)
    – Weniger Verkehr auf der Straße heißt weniger Stau, schnellere Busse, weniger Abnutzung, weniger Unfälle, mehr Platz für Radwege, weniger Umweltbelastung
    -mehr Ausnutzung des Stadtrad- /Carsharingkonzeptes und ähnlicher Anbieter
    – möglicherweise mehr Einnahmen als ÖPNV-Pionier durch Touristen inkl. Spontankurzurlauber auch in den Randbereichen des HVV

    Diese Aufstellungen sind sicherlich nicht vollständig und auch schon bekannt.
    Arbeitet dran, bin sehr dafür!
    Gruß Holle

  5. Ein „HVV für lau“ ist meiner Ansicht nach der falsche Weg, weil man dann die Serviceleistung des Transports dann nicht mehr als einen Service/Wert wahrnimmt und anderseits der Anreiz zur Benutzung von Fahrrad/Carsharing dann mehr und mehr fehlt. Die Bahnen und Busse müssen geputzt, gewartet, verwaltet und gefahren werden, das alles hat einen Wert, der jedem bewusst sein sollte!

    Dass etwas geändert werden muss, halte ich aber für unbestritten. Wikipedia sagt: „Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) hat in Hamburg einen Anteil von 18 % am Modal Split (Daten von 2008; motorisierter Individualverkehr 42 %, Fußgänger 28 %, Radfahrer 12 %). Im Vergleich der fünf größten deutschen Städte hat Hamburg damit den geringsten Anteil des ÖPNV am Modal Split (Berlin 26 %, Frankfurt am Main 24 %, München und Köln jeweils 21 %) und, zusammen mit Köln, den höchsten Anteil am Kfz-Verkehr.

    Ich halte es daher für sinnvoller, das HVV-Monatsabo (ProfiCard) für mehr Menschen erschwinglich zu machen, indem man bspw. den Maximalbetrag je Monat vereinheitlicht/senkt/festlegt. Da trotzdem nicht alle Menschen ein Monatsabo brauchen/wollen, wird es auch weiterhin die Einzel- und Gruppentickets geben, die meiner Meinung nach preislich aber deutlich nach unten korrigiert werden sollten. Die hierbei anfallenden Kosten für den HVV halte ich im Übrigen für Überschaubar.

    Hier also nochmal kurz meine Forderungen:
    – Preis für HVV/Monatsabo vereinheitlichen/senken/festlegen
    – Preise für Einzel- und Gruppentickets senken

    • Holger Schwier

      Ach ja, PKS 2011, Hamburg: 4,1 % der begangen Straftaten fällt auf Beförderungserschleichung (Nebenerfassung zum Erschleichen von Leistungen).

      Welcher Politiker mag da wohl die Kriminalitätsrate auf einen Schlag gewaltig senken?

  6. Moin Piraten!

    Ich finde den Artikel sehr gut, da er zeigt, dass gerade die Frage der Mobilität in Zukunft ganz neu diskutiert werden muss. Wir diskutieren dieses Thema ebenfalls bei uns im AStA der Uhh und haben uns im Koalitionsvertrag auf eine Vernetzung mit der Initiative „HVV umsonst“ geeinigt.
    Gerade bei diesem Thema kann es meiner Meinung nach in Zukunft gut funktionieren mit einem breiten Bündnis (z.B. auch in Vernetzung mit Recht auf Stadt) auf radikale Veränderungen in der Denkweise über Mobilität in Hamburg hinzuarbeiten.
    Ich freue mich einerseits auf den bevorstehenden Diskurs, andererseits, darüber dass die Piratenpartei hier als progressiver Akteur aktiv Stellung bezieht!

    Ahoi,
    Lars

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