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Keine Entwarnung – Zum Stand der Flüchtlingspolitik

von Street_Dogg

Keine Entwarnung zur aktuellen Situation möchte unser Innenminister Thomas de Maizière geben und dem wollen wir uns, diesmal, ausdrücklich anschließen. Es gibt tatsächlich keinen Anlass zur Entwarnung in der aktuellen Krise.

Zur Zeit gehen die Zahlen neu ankommender Flüchtlinge zurück. Natürlich sind die Flüchtlinge jedoch nicht verschwunden, sondern stecken nur woanders in katastrophalen Situationen fest. Was Angela Merkel im letzten Jahr noch verhindern konnte, eine humanistische Katastrophe, führen nun Österreich und einige Nachbarländer mutwillig herbei, indem sie einseitig die größte Errungenschaft der EU, die offenen Grenzen, zu Grabe getragen haben. Nun hängen zig tausende Flüchtlinge unter elendigen Bedingungen in Griechenland fest, dessen Schicksal die „Freunde“ aus der EU nicht zu kümmern scheint. Südosteuropa ist inzwischen durchzogen von Stacheldraht, an denen Polizei und Militär patrouillieren. Auch in anderen EU-Ländern stellen Polizeikontrollen die europäische Reisefreiheit in Frage. Statt sichere Routen zu ermöglichen, drängt man die Flüchtlinge weiterhin den Schleppern in die Hände. Die Unwilligkeit der EU Flüchtlinge aufzunehmen und angemessen zu versorgen verdreht dieses mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Projekt immer mehr zu einer polizeistaatlichen Dystopie.

Die Ankunft einer größeren Zahl an Flüchtlingen hat der EU aufgezeigt, dass sie offensichtlich keine Wertegemeinschaft ist und Menschenrechte am liebsten in anderen Regionen der Erde verteidigt, aber nicht bei sich zuhause. Das ohnehin unsinnige Dublin-III-Abkommen ist endgültig gescheitert und reißt das Schengen-Abkommen mit in den Abgrund. Kaum ein Land in der EU ist noch bereit Schutzsuchenden weiterhin Asyl zu gewähren, dabei haben viele EU-Staaten noch nicht einmal damit angefangen dies zu tun. Noch nie hatten Menschenrechte einen so schweren Stand in der EU.

Nachdem Südeuropa in der Euro-Krise jahrelang durch aufgezwungene Austerität noch weiter in den Ruin getrieben wurde, lässt man diese Länder, insbesondere Griechenland, nun erneut im Stich. Die Solidarität zwischen den EU-Ländern steht leider ähnlich schlecht da, wie die mit flüchtenden Menschen. Zur humanitären Krise der Griechen aus gekürzten Löhnen, erzwungener Privatisierung, gigantischer Arbeitslosigkeit und zusammengestrichenen Sozialsystemen kommt nun noch die humanitäre Katastrophe der Flüchtlinge hinzu, die vom griechischen Staat kaum menschenwürdig versorgt werden können. Menschen, denen ihr gesamtes Leben von Krieg, Terror und Verfolgung genommen wurde, stecken hinter Stacheldraht und in geschlossenen Flüchtlingslagern fest, weil die reichen Staaten in Nordeuropa keine Lust mehr haben das Recht auf Asyl ernst zu nehmen.

Stattdessen wendet man sich nun der Türkei zu. Ein Land, das seit Jahren die Freiheit seiner Bürger abbaut, die freie Presse ebenso wie die freie Justiz ausgeschaltet hat. Ein Land, dessen Herrscher seine eigene Bevölkerung inhaftieren und bombardieren lässt, wenn diese seine Parlamentsmehrheit gefährdet. Ein Land, das sich vollständig von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verabschiedet hat, ist der EU gerade gut genug für schmutzige Deals. Neu ankommende Flüchtlinge in Griechenland sollen nun in die Türkei abgeschoben werden, obwohl diese dort nicht sicher sind und oftmals gleich weiter abgeschoben werden, zurück in die Krisengebiete aus denen sie geflohen sind. Die Türkei setzt für uns um, was in der EU aus humanitären Gründen gar nicht erlaubt wäre. Die EU verschließt davor nicht nur die Augen, sondern arbeitet bereits an der Umsetzung der gleichen perfiden Masche mit dem Bürgerkriegsland Libyen.

Es ist kein Wunder, dass die Förderung der Demokratie in der EU in der Liste der Prioritäten weit nach hinten gerückt ist, haben doch mehrere EU-Länder selbst längst mit dem Rückbau der Demokratie begonnen. Der Umbau Ungarns zu einer gelenkten Demokratie ohne funktionierende Justiz und ohne ernsthafte zivile oder parlamentarische Opposition wurde jahrelang hilflos hingenommen. Auch zu ähnlichen Entwicklungen in Polen gibt es keine Antworten. Die Verteidigung der Demokratie könnte von der restlichen EU aber auch ohnehin nicht mehr glaubhaft vertreten werden.

Stattdessen macht sich überall in der EU anti-europäische Stimmung breit. Angefacht vom Konflikt mit Russland und der flüchtlingsfeindlichen Gesellschaft erodiert der europäische Zusammenhalt zusehends. Statt gemeinsam das europäische Projekt positiv zu gestallten, greifen Misstrauen, Entsolidarisierung und blanker Hass um sich.

Deutschland wird immer noch von der schlimmsten Terrorwelle seit Jahrzehnten heimgesucht. Seit Monaten werden täglich Flüchtlinge, ihre Unterkünfte, ihre Helfer oder Politiker, die sich für sie einsetzen gewaltsam angegriffen. Es sind längst alle Dämme gebrochen. Der immer schon bekannte latente Rassismus in der Gesellschaft entlädt sich mehr und mehr. Ganze Ortschaften sind bereits für ihre rassistischen Übergriffe bekannt geworden. Die lokalen Behörden und Politiker sind oft unwillens sich dem ernsthaft entgegenzustellen und wiegeln lieber ab. Während Volksverhetzung bereits zum Volkssport geworden ist, tun Verantwortliche immer noch so als wäre alles halb so schlimm. Ihre Sorge gilt vor allem dem Ruf ihrer Heimat, nicht der Lösung ihrer Probleme mit Rechtsradikalen. Solange es in erster Linie Ausländer und linke Aktivisten trifft, sieht dieses Land keinen Anlass ernsthaft etwas zu ändern. Währenddessen wenden sich die Wähler reihenweise offen rechtsradikalen Parteien zu.

Viele rechtsradikale Positionen wurden in der deutschen Parteienlandschaft auch von der aktuellen Bundesregierung hoffähig gemacht. Die Problematisierung von Flüchtlingen wurde durch die Rhetorik und die Gesetzesverschärfungen von CDU/CSU und SPD aktiv vorangetrieben. Statt sich darauf zu konzentrieren die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen und Integrationsmaßnahmen bereitzustellen, wurde eine Politik des Abwehrens, Abschreckens und Abschiebens eingeführt. Flüchtlinge gelten heute nicht mehr als Schutzsuchende, sondern als Problem und Gefahr, und so werden sie auch behandelt, von rechtsradikalen Parteien ebenso wie von der Bundesregierung. Die Grenzen verschwimmen. Ausländerfeindlichkeit ist im Mainstream angekommen.

Die Politik hat sich parteiübergreifend und EU-weit zum obersten Ziel gesetzt möglichst viele Flüchtlinge aus der EU herauszuhalten, was fälschlicherweise als „reduzieren der Flüchtlingszahlen“ bezeichnet wird. Dass Flüchtlinge hier möglichst keinen all zu angenehmen Aufenthalt haben sollen, gehört zur Strategie der Abschreckung. Sie müssen viele Monate lang mit kaum Privatsphäre in Massenunterkünften hausen und wissen lange Zeit nicht, ob sie überhaupt bleiben dürfen. Ihre Familienangehörige stecken oft noch in Kriegsgebieten fest und können nicht nachgeholt werden. Sie können dabei weder eine Arbeit aufnehmen noch sich sonst irgendwie ernsthaft in die hiesige Gesellschaft integrieren. Sprach- und Integrationskurse werden in viel zu geringer Anzahl zur Verfügung gestellt. All das müsste nicht so sein, gehört aber zur Abschreckungsstrategie. Die Regierung nimmt damit Folgeprobleme, wie Spannungen in den Massenunterkünften oder schlechte Sprachkenntnisse auch noch nach Monaten, einfach in Kauf.

Eine flüchtlingsfeindliche Politik ist in Deutschland nahezu Konsens. Ganzen Volksgruppen wird pauschal unterstellt keine richtigen Fluchtgründe zu haben. Der gesamte Balkan wurde inzwischen zu angeblich „sicheren“ Herkunftsländern erklärt, wohl wissend, dass es dort durchaus politische Verfolgung gibt, die in einigen anderen EU-Ländern auch deutlich häufiger als in Deutschland anerkannt wird. Betroffen sind z.B. auch Roma, die teilweise schon seit langem hier leben, und werden nun aus heiterem Himmel abgeschoben. Mit den Staaten des westlichen Maghreb will man es in Zukunft genauso machen, obwohl es dort offene Territorialkonflikte mit zahlreichen Binnenflüchtlingen, mangelhafte Rechtsstaatlichkeit und sogar Folter gibt. Nach der Silvesternacht in Köln wurde eilig das Strafrecht verschärft, nach dem nun alle Ausländer (nicht nur Flüchtlinge) wegen relativ kleiner Verstöße aus ihrem Leben gerissen und ausgewiesen werden können. Die Täter, die diese Reaktion ausgelöst haben, sind dadurch allerdings gleich doppelt nicht betroffen. Diese haben vielfach bereits keinen gültigen Aufenthaltsstatus oder wären bald ohnehin ausgewiesen worden. Die sexuellen Belästigungen, auf die man reagieren wollte, sind skurrilerweise häufig immer noch nicht strafbar und führen damit auch mit der Verschärfung nicht zu Ausweisungen. Ausländerfeindliche Politik im Stile der NPD-Programmatik wird von dieser Regierung leider viel schneller praktisch umgesetzt als tatsächlicher Schutz von Frauen vor Grapschern und Belästigung.

Politik und Bevölkerung befeuern sich in dieser Stimmung gegenseitig. Die Entmenschlichung von Flüchtlingen, die Negierung ihrer Schicksale und Problematisierung ihrer Flucht treibt die Menschen hier dazu an Flüchtlinge aktiv zu bekämpfen. Internet und Stammtische sind voll von Volksverhetzung und verleumderischen Gerüchten. In Demonstrationen wird die Stimmung auf die Straße getragen. Die Unterbringung von Flüchtlingen wird mit juristischen, direktdemokratischen und militanten Mitteln bekämpft. Selbst der ohnehin dringend benötigte Bau von Wohnungen wird sabotiert. Die Politik reagiert darauf mit noch drastischeren Maßnahmen gegen Flüchtlinge und dem Versuch möglichst viele davon loszuwerden, am liebsten schon vor der Grenze. Dadurch fühlt sich der rassistische Mob noch bestätigt und fordert immer radikalere Maßnahmen und unterstützt immer rechtsradikalere Parteien.

Kaum jemand in der Bundes- oder Landespolitik stellt sich dem noch entschieden entgegen. Die Parteien bewegen sich zwischen weg ducken und dem Versuch die rechte Wählerschaft durch rechte Parolen wieder einzusammeln. An Haltung und Zivilcourage fehlt es überall und darum sieht es auch nicht so aus, als würde sich die Situation bald zum Guten wenden. Darum sehen wir es genauso wie Herr De Maizière: Zur Entwarnung gibt es wirklich keinen Grund.

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