Aktuell Slider

Seilbahnen sind toll – der Musical Zubringer nicht

Noch 10 Tage bis zum Entscheid über die Hamburger Musical-Seilbahn von St.Pauli zum „König der Löwen“. Bis zum 24.08.2014 können die Bürgerinnen und Bürger aus Hamburg-Mitte noch per Briefwahl abstimmen oder am Sonntag, den 24.08. ihre Stimme im Bezirksamt am Klosterwall abgeben. Für solche Bürgerentscheide gibt es keine Mindestbeteiligung (Quorum) – eine einfache Mehrheit gewinnt. Für diejenigen, die noch unentschlossen sind, möchten wir hier die Argumente noch mal vorstellen.

Wer steckt dahinter?
Betrieben werden soll die Seilbahn von dem Musical-Konzern „Stage Entertainment“ und dem Seilbahnhersteller Doppelmayr. Die Kontaktadresse für die Initiatoren des Begehrens ist der Lobbyverein für die Hamburger Tourismusindustrie, in dessen Vorstand ein Vertreter der „Stage Entertainment Gruppe“ sitzt, welche die Musicaltheater betreibt und vermarktet. Sprecher ist ein ehemaliger Vorsitzender dieses Vereins. Damit sind die dahinter stehenden Interessen bereits klar. Neu daran ist – zumindest für Hamburg und in dieser Deutlichkeit -, dass Konzerne und ihre Lobby ihre wirtschaftlichen Interessen per Volksgesetzgebung durchsetzen wollen. Der Fachbegriff für diese Art der Einflussnahme lautet Astroturfing [1]. Experten sehen hierin eine Gefahr für die Demokratie, insbesondere für die direktdemokratische Bürgerdemokratie, wenn diese Instrumente durch Konzerne missbraucht werden, um ihre Investitionen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen – besonders, wenn versucht wird, die Abstimmung mit Geldgeschenken (selbstverstänlich nur, wenn die Bürger „richtig“ abstimmen) zu beeinflussen – wie hier geschehen. [2] Gegen die Seilbahn haben sich in drei Abstimmungen mehr als dreiviertel der Kommunalpolitik, alle Parteien bis auf CDU und AfD, und alle umliegenden Stadtteilbeiräte einstimmig ausgesprochen. Es hat sich eine Anwohnerinitiative gegründet und auch aus umliegenden Institutionen, wie der Seniorenwohnanlage im Zirkusweg oder der Gemeinde der St.Michaelis-Kirche kommt Widerstand gegen die Seilbahn-Pläne.

Täuschen und Tricksen – Das Konzernbegehren
Wenn Konzerne Bürgerbeteiligungsinstrumente nutzen, haben sie natürlich im Vergleich zu echten Bürgerinitiativen (BI) schon von vornherein einen finanziellen Vorteil. Konzerne und deren Lobbyisten, die ein 35 – 50 Millionen EUR Projekt durchsetzen wollen, haben erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung, die echten Bürgerinitiativen in der Regel nicht zur Verfügung stehen. So konnte die Lobby-Initiative allein für die Unterschriftensammlung 7.000 EUR aufwenden, wovon nur der geringste Anteil für den Druck der Unterschriftenlisten verwendet worden sein dürfte. Der Löwenanteil ist für bezahlte Unterschriftensammler und das verwendete Werbematerial ausgegeben worden. Gesammelt wurde vor allem in Stadtteilen weit ab des Vorhabens, bezahlt wurden die Unterstützungsunterschriften mit Freikarten. Die Kosten betragen also mehr als einen EUR pro Unterschrift. Wenn man die Gesamtkosten für das Bürgerbegehren, also nur den ersten Teil des Verfahrens, die von der Initiative mit über 18.000 EUR angegeben werden, umrechnet, kommt man schon auf drei EUR pro Unterschrift. Die Kosten für Freikarten und den eigentlichen Entscheid gar nicht mit gerechnet.

Gondel

Auch ansonsten hat die Lobby-Initiative, gemeinsam mit den Betreiber-Konzernen vor allem versucht, ihre Interessen durch Täuschen, Tricksen und mit Geschenken, statt mir ehrlichen Argumenten, durchzusetzen. Unterschriftensammler haben zum Teil behauptet, sie würden im Auftrag des Bezirksamtes sammeln, Abgeordnete sollten beschenkt werden, z.B. mit einer kostenlosen „Info-Reise“ zur Besichtigung einer Seilbahn in Koblenz, es wird bis heute immer wieder so getan, als ginge es bei der Abstimmung um eine Seilbahn, welche bis Wilhelmsburg führen würde, obwohl die sogenannte Südtrasse längst als nicht realisierbar abgelehnt wurde. Dargestellt wird die Seilbahn als Ergänzung zum Öffentlichen Personennahverkehr, obwohl eine Einbindung in den HVV gar nicht zur Debatte steht. Die gesamte Kampagne ist geprägt von Irreführung und Täuschung. Man schmückt sich sogar mit angeblichen prominenten Unterstützern, die dann öffentlich bekannt geben, gegen diese Seilbahn zu stimmen. [3]

Allein die Möglichkeit, dass dieses Vorgehen Schule macht und Konzerne ihre Interessen zukünftig in dieser Art vermehrt durchsetzen, sollte sehr skeptisch machen. Angesichts der zahlreichen PR-GAUs der „BI“ sollte die Stage sich überlegen, ob durch eine Rücknahme der Pläne, nicht ein Imageverlust des Konzerns in Hamburg vermieden werden könnte.

Ein Geschenk?
Die Lobby-Initiative verkauft uns das Konzernbegehren als Geschenk. Die Seilbahn würde den Steuerzahler keinen Cent kosten. Dass Konzerne ihre Investitionen, mit denen sie schließlich anschließend Gewinne erzielen möchten, selbst bezahlen, ist natürlich eine Selbsverständlichkeit, also der Regelfall und kein Geschenk. Dass die Seilbahn den Steuerzahler „keinen Cent“ kosten würde, ist trotzdem eine Irreführung. Allein dass im Falle eines Entscheides für die Seilbahn fällige Planfeststellungsverfahren wird die Bezirksverwaltung und Senatsbehörden 2 – 3 Jahre beschäftigen und dem Steuerzahler erhebliche Kosten verursachen, noch bevor überhaupt feststeht, ob man dieses „Geschenk“ überhaupt annehmen kann. Ob ein Planfeststellungsverfahren tatsächlich zu einer Genehmigung führen wird, darf getrost bezweifelt werden. Selbst nach Einschätzung der Befürworter wird kein zusätzlicher Tourist wegen der Seilbahn nach Hamburg kommen. Auch werden Touristen über ihr geplantes Urlaubs-Budget hinaus keinen zusätzlichen Cent in Hamburg lassen. Statt Souvenirs, Club- oder Restaurantbesuchen, wird lediglich ein größerer Anteil in den Taschen der Betreiberkonzerne landen.

Abgesehen von dem Restrisiko, dass – sicher nicht die Mutterkonzerne – aber durchaus eine Betreibergesellschaft auch pleite gehen kann und die Stadt dann einen unwirtschaftlichen Betrieb – die Seilbahn in London z.B. erwirtschaftet Verluste – übernehmen oder den Rückbau finanzieren müsste. Die Lobby-Initiative strebt aber offenbar ein anderes Szenario an – die spätere Erweiterung in Public-Private-Partnership (PPP / ÖPP), wie auf einer Werbeveranstaltung in der Handelskammer deutlich wurde. Wie sich PPP in der Regel rechnet, kann man in Hamburg leicht an der Elbphilharmonie ablesen.

Ein öffentliches Verkehrsmittel?
Die Lobby-Initiative verkauft uns diese Seilbahn als ökologisches, leistungsstarkes Verkehrsmittel für den „Sprung über die Elbe“. So spricht man zum Beleg von bis zu 3.000 Passagieren, die pro Stunde befördert werden können. Der Seilbahnexperte der „BI“ sogar von einer möglichen Erweiterung auf bis zu 5.000 / Stunde. Eine S-Bahn hat im Vergleich locker die vierfache Kapazität. Wenn über zu erwartende Belastung der umliegenden Stadtteile gesprochen wird, rudert man allerdings flugs zurück und spricht nur noch von höchstens 5.000 Passagieren pro Tag statt pro Stunde. Nicht nur, dass hier, je nach Bedarf mit sehr unterschiedlichen Zahlen operiert wird, dass immer noch so getan wird als würde die Strecke bis nach Wilhelmsburg führen und nicht in ein reines Industriegebiet, wo es außer den beiden Musical-Theatern weder für Hamburger Bürger, noch für Touristen irgendetwas gibt wohin es sich zu fahren lohnt, abgesehen davon, dass es, anders als suggeriert wird, keine Einbindung in den ÖPNV und schon gar keine Nutzbarkeit von HVV-Tickets geben wird, womit auch die Argumentation mit dem Nutzen für Pendler schon ad absurdum geführt wird, wirbt die Lobby-Initiative jetzt in der Abstimmungsphase mit an den Haaren herbeigezogenen und völlig unsinnigen Verbindungen.

Beispiele gefällig? In St.Georg werben Plakate mit dem Slogan „Zum Festival nehmen wir die Seilbahn“. Welches Festival am Endhaltepunkt in Steinwerder gemeint sein soll, bleibt ein Geheimnis. Da aber fälschlich mit einer Anbindung nach Wilhelmsburg geworben wird, muss man annehmen, dass das Dockville-Festival gemeint ist. Man schlägt also ernsthaft vor, vom Hauptbahnhof die Bahn nach St.Pauli zu nehmen, dort für mindestens 6,- EUR ein zusätzliches Ticket zu erwerben, um mit der Seilbahn nach Steinwerder zu fahren, von dort 15 Minuten zu Fuß zum Bus zu laufen, der dann zum Dockville fährt. Die Fahrzeit würde laut hvv.de ca 39 Minuten dauern und mindestens 9 EUR kosten. Fährt man allerdings mit dem ÖPNV direkt beträgt die Fahrzeit nur 23 Minuten und kostet lediglich 3 EUR.
In Finkenwerder werben Plakate für eine Fahrt mit der Seilbahn zum Dom. Die bestehende Verbindung mit der Fähre nach Landungsbrücken plus eine Station mit der U3 nach St.Pauli dauert 37 Minuten und kostet 3,- EUR. Will man mit der Seilbahn fahren, müsste man einmal zusätzlich umsteigen, bräuchte ca 68 Minuten und würde dafür ebenfalls mindestens das Dreifache bezahlen müssen. Selbst der Mitinitator Stratenschulte musste nun in einem Interview einräumen, dass es sich nicht um ein Verkehrsmittel handelt [4]. Da zu erwarten ist, dass nicht einmal Musical-Besucher den Hauptanteil der Fahrgäste ausmachen werden, sondern überwiegend Touristen, die, wegen des Ausblicks lediglich über den Hafen und direkt wieder zurück fahren werden, hat diese Seilbahn den gleichen Verkehrswert wie eine Achterbahn oder ein Kettenkarrussel. St.Pauli ist aber nicht Disney-World.

Belastung für St.Pauli, die Neustadt und das Karo!
Für zu erwartende Belastungen der umliegenden Stadtteile St.Pauli, Neustadt und Karolinenviertel, legt die „BI“ keine Berechnungen und Lösungsvorschläge vor, sondern bestreitet diese rundweg. Statt wie jeder Bauinvestor oder Gastronom ausreichend Parkplätze nachzuweisen, wird einfach behaupetet, alle Seilbahn-Passagiere würden mit der U3 anreisen. Das ist natürlich kompletter Unsinn, insbesondere soweit es Theaterbesucher in Abendkleidung betrifft. Wer die Situation rund um die Reeperbahn, das Heiligengeistfeld und die benachbarte Messe kennt, weiß aber, dass es jetzt schon zu Parkplatzsuchverkehren kommt, die teilweise ganze Wohngebiete blockieren. Insbesondere durch hier stattfindende Großveranstaltungen, dreimal jährlich für je vier Wochen der Dom, Messen, Harley-Days, Marathon und Fahrradrennen, Hafengeburstag, Fanfeste oder Schlagermove usw. ist zu befürchten, dass es selbst bei positiv angenommenen Zahlen von „nur“ 5.000 Passagieren pro Tag – das entspricht immerhin etwa 100 Reisebussen oder gut 2000 PKW – zu unakzeptablen, zusätzlichem Parkplatzsuchverkehr führen wird. Fraglich wird eher, ob die Seilbahn parallel zu genannten Großevents überhaupt betrieben werden kann.

Eingriff in das Stadtbild und historische Parkanlagen
Die über 90m bzw.120m hohen Pylone werden als „zart“ beschrieben. Lediglich 1,5qm öffentlichen Raum sollen sie benötigen. Abgesehen davon, dass es natürlich acht mal 1,5qm sind und zusätzlich der gesamte Raum unter den Pylonen als öffentlicher Raum verloren geht, wird damit über den massiven Eingriff in das Stadtbild hinweg getäuscht. Mit 90m ist der Nordpylon in etwa so hoch wie die Aussichtsplattform des benachbarten Michels und überragt das Bismarkdenkmal weit. Der Pylon selbst steht mitten im historischen Elbpark und benötigt ein Fundament von der Größe eines Hochhauses.

Nord-Pylon_im_Model_Auschnitt_small
(Bild Thorsten Haas)

Gar nicht gern spricht man auch vom Abfahrtsterminal, welches direkt vor dem ebenfalls historischen und unter Denkmalschutz stehenden Eingang von „Planten un Blomen“ stehen soll. Der Hamburger Landesverband der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. nimmt dazu folgendermaßen Stellung: „Aus gartenhistorischen Erwägungen erscheint es uns unzulässig, in den denkmalgeschützten Park ein verkehrstechnisch und baulich spektakuläres „Highlight“ zu stellen, dass mit einem Pylon in der Nähe des Bismarck in starke visuelle Konkurrenz zu dem bedächtig-schweren Gepräge des Alten Elbparks treten würde. Das weiter oben, am Millerntor geplante Eingangsgebäude zur Seilbahn droht zudem, den Haupteingang zu den Großen Wallanlagen weitgehend zu verstellen und teilweise sogar zu überbauen: ebenfalls ein geschütztes Gartendenkmal von hoher Bedeutung für die Stadt.“ und schließt: „Wir bitten alle Hamburgerinnen und Hamburger, sich gegen den Bau einer Seilbahn am Millerntor auszusprechen: Hamburg hat solchen Schnickschnack nicht nötig.“ [5]

Seilbahnen sind toll – diese nicht!
Vor allem durch die Irreführungen der Lobby-Initiative, wird derzeit nicht nur über den konkreten Musical-Zubringer, über den allein jetzt abgestimmt wird, sondern allgemein über urbane Seilbahnen diskutiert. Urbane Seilbahnen sind sicher interessant und können vielleicht auch ein interesantes Projekt für Hamburg sein. Nur hat bisher noch niemand, wie es der Seilbahnexperte der „BI“ Prof. Mohnheim fordert, einen Masterplan Seilbahnen für Hamburg vorgelegt. Wir werden Herrn Prof. Mohnheim, der bei aller Seilbahnbegeisterung diesen Musical-Zubringer isoliert für „wenig sinnvoll“ erachtet, und trotzdem befürwortet, gern zu unserer Norddeutschen Verkehrskonferenz im Oktober einladen, um uns ein solches Konzept vorstellen zu lassen. Vielleicht ist das Verkehrsmittel Seilbahn ja tatsächlich eine sinnvolle Alternative zur Stadtbahn in Hamburg, wir werden das gern prüfen und gegebenenfalls auch unterstützen. Diese Seilbahn von St.Pauli nach Steinwerder ist aber sicher kein sinnvolles Verkehrsmittel und auch kein Geschenk!

Deshalb: Stimmen Sie bis zum 24.08.2014 beim Bürgerentscheid mit NEIN zur Musical-Seilbahn!

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Astroturfing
[2] http://www.taz.de/!143239/
http://keine-seilbahn.de/category/essays/

Der Zehn-Millionen-Köder

Millionen-Spende für Seilbahn ist unzulässig


http://www.abendblatt.de/meinung/article130696383/Sind-die-Millionen-eine-schoene-Seilbahn-Bescherung.html?fb_action_ids=1605245896368836&fb_action_types=og.likes
[3] http://www.mopo.de/nachrichten/offener-brief-corny-littmann-stellt-sich-ploetzlich-gegen-elb-seilbahn,5067140,27986254.html
[4] http://st.pauli-news.de/warum-ich-fuer-die-seilbahn-bin/
[5] http://www.dggl.org/landesverbaende/hamburg-schleswig-holstein/stellungnahmen.html

1 Kommentar zu “Seilbahnen sind toll – der Musical Zubringer nicht

  1. Marie Salm

    Hallo,

    zB. Koblenz … auch drei Jahre nach Inbetriebnahme der Seilbahn, gibt es KEINE Anbindung an den ÖPNV.

    Grüße
    Marie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert