Aktuell Slider

Rationale Drogenpolitik: Failanzeige

von Andreas Gerhold

Eineinhalb Jahre nach Veröffentlichung seiner Drogenstudie SCHULBUS 2012 [1] an Hamburger Schulen startet der Senat nun seine 2013 angekündigte Kampagne zur Cannabis-Prävention unter dem Slogan „Bleib stark! Bleib du selbst!“. Die wurde am Dienstag der Presse von der Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz Prüfer-Storcks vorgestellt.

Eltern sollen durch eine Aufklärungskampagne befähigt werden, sich informiert und auf Augenhöhe mit ihren Kindern über das Thema Kiffen auseinander zu setzen. Ein Kreativwettbewerb soll Jugendliche dazu auffordern sich mit Videos, Plakaten oder Aktionen mit dem Thema Cannabiskonsum auseinander zu setzen.

Drogenaufklärung und -prävention ist natürlich zu begrüßen.Trotzdem muss man sich fragen, wie die Gesundheitsbehörde aufgrund dieser Studie zu diesem Schwerpunkt kommt. Und welche Ziele aufgrund welcher Erkenntnisse verfolgt werden.

Die Studie SCHULBUS 2012 hat Schüler zu Alkohol, Tabak, Medis, Cannabis und weiteren illegalen Drogen, sowie zu „nicht substanzgebundenen Formen suchtinduzierenden Verhaltens“, wie Computerspielverhalten, Nutzung des Internets (leider wenig differenziert!) und zu Glücksspielerfahrungen befragt.

In der Ankündigungs-PM [2] der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz vom Dienstag heißt es: „29, 3 % der 14 bis 17 jährigen in Hamburg haben schon einmal gekifft. 16,9 % der 14 bis 17 jährigen gehören zu der Gruppe der aktuellen Kiffer. 7,1 % der Jugendlichen in Hamburg haben einen problematischen Cannabiskonsum.“

Sehen wir uns das mal genauer an. Knapp ein Drittel der Jugendlichen dieser Altersgruppe hatten schon mal Kontakt mit Cannabis, das hat also eine gewisse Normalität. Aber nur 17% haben in den letzten dreißig Tagen gekifft. Eine neue Seuche?

Spiegeltitel_Cannabis

Was sind eigentlich Cannabis-Problemkonsumenten und Binge-Drinker?

Für Alkohol liegt die 30-Tage-Prävalenz bei den 14-15 jährigen bei knappen 50%, bei den 16-17 jährigen schon bei über 70%, Tendenz steigend. Problemkonsum wird nicht wirklich ermittelt, allerdings wird zusätzlich eine Prävalenzermittlung „Binge-Drinking“ [3] präsentiert, also das Trinken von mehr als fünf Gläsern (mit je ca. 10g Alkohol) bei einer Gelegenheit, auch Rauschtrinken. Wer allerdings morgens zum Frühstück und zum Mittag und zum Abendbrot, je ein bis zwei und zum Feierabend nicht mehr als fünf Gläser trinkt oder sich nur alle drei Monate ins Koma säuft, wird so nicht mal als potentiell problematisch erfasst, dafür werden 5 Gläser, die bei einer Gelegenheit aber über viele Stunden hinweg konsumiert werden problematisiert. Also nicht sehr aussagekräftig. Trotz dieser Schwäche sollte es beunruhigen, dass rund 20% der 14 – 15-jährigen und ein Jahr später mit gut 40% bei den 16-17-jährigen schon doppelt so viele Jugendliche in die Kategorie regelmäßige Rauschtrinker fallen.

Allerdings sollen auch 7% der Jugendlichen einen „problematischen Cannabiskonsum“ pflegen. Das klingt beunruhigend, auch wenn im Vergleich zu den regelmäßigen Rauschtrinkern nur ein Fünftel betroffen ist. Von denen, die öfter als einmal im Monat kiffen, haben weit mehr als ein Drittel, fast die Hälfte, einen problematischen Konsum!? Da muss man was tun! Was ist also „problematischer Cannabiskonsum“? Wo soll man ansetzen?

Was „problematischen Cannabiskonsum“ ist wird in der Studie selbst und der Auswertung nicht weiter thematisiert. Es heißt lediglich: „Dass der fortgesetzte Umgang mit Haschisch und Marihuana auch zu erheblichen Problemen bei den KonsumentInnen führen kann, gilt inzwischen als unbestritten. Um hierüber entsprechende Aussagen treffen zu können, wird in der SCHULBUS-Studie seit 2007 die Severity of Dependence Scale (SDS) eingesetzt“ Als Problemkonsument wird erfasst, wer 2 oder mehr Punkte auf dieser Skala erreicht. Diese zwei Punkte erreicht man z.B. wenn man „manchmal“ über seinen Konsum „besorgt“ ist und es „etwas schwierig“ findet auf Cannabis zu verzichten [4].

Halten wir also als praktisches Ergebnis der Studie fest: Etwa ein Drittel aller Jugendlichen, die regelmäßig mindestens 50g Alkohol bei einer Gelegenheit konsumieren gelten zwar als potentielle Problemkonsumenten, werden aufgrund dieser Erkenntnis aber nicht mit einem speziellem Präventionsprojekt bedacht. Cannabiskonsumenten, die manchmal besorgt sind über ihren Konsum und es etwas schwierig finden darauf zu verzichten sind aber Problemkonsumenten, die ein besonderes Programm notwendig machen.

Dass die letale Dosis für Alkohol ab etwa 6 bis 8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht liegt, das kann weniger als eine Flasche Schnaps sein, während es bei Cannabis keine realistische letale Dosis gibt, dass in Deutschland jährlich weit über 70.000 Menschen an den Folgen von Alkohol sterben, während Cannabis weltweit nicht für einen Todesfall verantwortlich gemacht werden kann, macht die alleinige Konzentration auf den Cannabiskonsum als Schluss aus dieser Studie nicht rationaler.

Aber die Kinder …

Nun mag mancher einwenden, auch wenn Alkohol unter Jugendlichen viel verbreiteter gefährlicher ist, selbst wenn 7% Problemkonsumenten von Cannabis maßlos übertrieben ist, die realistischen 1-2% sind doch auch Kinder, denen geholfen werden muss! Seien wir doch froh, das etwas getan wird.

Ja sicher, und mit 100.000 EUR lehnt sich der Senat ja haushaltstechnisch auch nicht übermäßig aus dem Fenster. Auch wenn es als Konsequenz aus der Studie nicht plausibel ist, kann Hamburg durchaus eine solche Summe für Cannabisaufklärung ausgeben. Wenn man denn wirklich aufklären wollte. In welche Richtung diese „Aufklärung“ geht, lässt sich schon der PM der Frau Senatorin entnehmen:

„Der steigende Cannabiskonsum von Jugendlichen ist, in Hamburg wie auch in anderen Metropolen, ein besorgniserregender Trend.“

Genaugenommen liegt das Niveau dort, wo es 2004 und 2005 lag. Nach einem Rückgang 2007 und einem Wiederanstieg seit 2009.

„Insbesondere bei Jüngeren können die gesundheitlichen Schäden durch das Kiffen verheerend sein“

Ja, im Einzelfall, gemeinsam mit weiteren Faktoren sogar „verheerend“. Weil aber der Konsum psychoaktiver Substanzen umso gefährlicher ist, je jünger der jugendliche Konsument, brauchen wir wirksamen Jugendschutz und eine ehrliche Aufklärung als Grundlage für Prävention. Der „besorgniserregende Trend“ und die „verheerenden Schäden“ sind aber eher unnötige Dramatisierungen. Doch dabei bleibt es nicht.

„Bei regelmäßigem Konsum über mehrere Monate können sich psychosomatische Entzugserscheinungen einstellen und bei jungen Menschen scheint es einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Störungen zu geben.“

Auch wenn man die Erwähnung von Entzugserscheinungen – alle, die tatsächlich mit Cannabis und nicht mit gleichzeitigem Nikotinentzug oder einer parallelen Erkrankung, wie etwa Depressionen, zu tun haben, sind harmlos und nach wenigen Monaten nicht zu erwarten – als Dramatisierung abtun mag, grenzt der in den Raum gestellte „Zusammenhang“ zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Störungen in dieser Form an bewusste Falschinformation.

Cannabis kann sicher, bei vorhandener genetischer oder vorgeburtlich entstandener Disposition, eine Psychose auslösen, bzw eine bereits vorhandene Psychose zum Ausbruch zu bringen. Dies gilt allerdings für (fast) alle Drogen, eine Vielzahl von Medikamenten, Schlafentzug, traumatische Ereignisse und einiges mehr. Ursachen nichtorganischer Psychosen sind bis heute nicht bekannt, genetische Dispositionen werden aber angenommen. Die aktuell gebräuchlichste Arbeitshypothese zu den Auslösern ist das Vulnerabilitäts-Stress-Modell, das bei vorhandener Disposition aktuellen psychischen oder physischen Stress als Auslöser annimmt. Von daher hat das, hier theatralisch vorgebrachte „Argument“ tatsächlich wenig Aussage- wohl aber große Wirkkkraft. Der „Erfinder“ der Hasch-Psychose wird von seinen fachkundigen Kollegen nicht wirklich ernst genommen. [5]

Dass übermäßiger Konsum von Cannabis grundsätzlich zu Problemen führen kann ist unbestritten. Denn das gilt für jeden übermäßigen Konsum, ob von Drogen, Nahrung oder was auch immer. Alles was der Mensch als angenehm empfindet, auch nicht stoffgebundene Verhaltensweisen, wie Spiel oder Sex, kann zu Suchtverhalten und damit zu Problemen führen. Erfinden und Aufbauschen von Problemen, verhindert aber, dass tatsächliche Probleme Beachtung finden, geschweige denn erfolgversprechende Ansätze für Prävention gefunden werden.

Mit dem Kernstück ihrer Kampagne der Seite http://bleib-stark.com (.com – wie „commercial“??) wendet sich die Senatorin an Jugendliche, Eltern und an Fachkräfte: „Eltern und Fachkräfte sollen informiert und gleichzeitig befähigt werden, sich mit ihren Kindern informiert und auf Augenhöhe über das Thema Kiffen auseinander zu setzen.“ Naja, das wäre ja mal ein Anfang, wenn Eltern und Fachkräfte wenigstens so gut Bescheid wüssten, wie viele Jugendliche. Ich fürchte allerdings, dass die Jugendlichen in wenigen Minuten mehr wissenswertes zusammengegooglet haben, als sie an falschen, verfälschten und nebensächlichen Infos auf dieser stinklangweiligen Seite je finden. Hätte sich der Senatt ihr euch doch von Jugendlichen beraten lassen, statt sie nun lediglich mit einen Wettbewerb „einzubinden“.

Eine Debatte über eine Legalisierung von Cannabis wird kategorisch abgelehnt, dabei weist ebendiese Studie praktisch den Weg. Denn den Konsum der legalen Droge Nikotin unter Jugendlichen konnte durch Aufklärung und Jugendschutz erfreulicherweise gesenkt werden, während dies bei der illegalen Droge Cannabis nicht gelang. Dies bestätigt mal wieder die Feststellung, dass Illegalität Aufklärung, Prävention und Jugendschutz behindert. Oder andersherum: Legalisierung von Cannabis würde effektiven Jugendschutz ermöglichen.

Liebe Frau Senatorin, Ihre Kampagne ist ein Paradebeispiel für irrationale, ideologisch verbrämte und kontraproduktive Drogenpolitik. Der notwendige ehrliche und offene Umgang wird lediglich selbstattestiert. Leider eine Fehldiagnose. Durch diese einseitigen und aufgebauschten, stufenlos auf absolute Abstinenz abzielenden Informationen gefährden Sie unsere Jugend. Wer feststellen muss, dass er z.B. zum Thema Überdosierung vom Postillion [6] besser informiert wird, als von seinen Lehrern, wer wichtige Informationen, z.B. über Gefahren durch Streckmittel oder Wechselwirkungen z.B. mit Alkohol dort sowieso nicht findet, der nimmt euch auch in Bezug auf tatsächliche Probleme durch Cannabiskonsum – und andere Drogen – nicht mehr ernst. Also weiter so, erfolglos seit Jahrzehnten. Das ist billiger Schaufensterpopulismus auf Kosten der Jugendlichen!

Liebe Jugendliche: Bleibt stark! Informiert euch selbst!

[1] http://www.sucht-hamburg.de/uploads/docs/572.pdf
[2] http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/4333110/2014-06-24-bgv-bleib-stark/
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Rauschtrinken
[4] http://www.isd-hamburg.de/dl/Cannabis_Mainz.pdf
[5] http://www.hanfjournal.de/hajo-website/artikel/2005/08/s11-thomasius.php
[6] http://www.der-postillon.com/2013/07/jugendlicher-18-nach-uberdosis-cannabis.html

0 Kommentare zu “Rationale Drogenpolitik: Failanzeige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert