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Worum es bei PRISM und Co. tatsächlich geht

Eine Betrachtung von Andreas B.

Dass PRISM und Co. in erster Linie dem Aufspüren und Verhindern terroristischer Aktionen und organisierter Kriminalität dienen soll, ist reine Propaganda. Sicherlich erzielt die Totalüberwachung diesen nützlichen Nebeneffekt. Tatsächlich aber dient sie der Absicherung nationalstaatlicher Eigentumsinteressen. Es geht darum, sich das nötige Wissen anzueignen, um nationalstaatliche wie privatwirtschaftliche Konkurrenten weltweit ausschalten oder ausstechen zu können. Jede Information kann helfen, einen Schritt voraus zu sein und andere erpressbar und gefügig zu machen, vom Staatspräsidenten über den General bis zum Kleinunternehmer oder Angestellten. „Wissen ist Macht“, heißt es nicht zu unrecht. Die Tatsache, dass die USA selbst europäische Staaten dazu bringen kann, dem bolivianischen Präsidenten die Überflugrechte zu verweigern, verdeutlicht die Macht, die aus Information und entsprechender Armada erwachsen kann.

Pikanterweise macht der staatliche Datenklau deutlich, dass diejenigen, die immer die Anerkennung und Respektierung des Privateigentums zur Nagelprobe demokratischer Gesinnung machen, sich einen Schei… darum scheren, wenn es um die Durchsetzung ihrer eigenen Macht und Konkurrenzvorteile geht.
Die Digitalisierung und Globalisierung hat die individuelle und nationalstaatliche Konkurrenz in bisher nicht gekannten Dimensionen vertieft und verbreitet. Die Krise ist eine unmittelbare Folge der globalen digitalen Revolution, die an den Grundfesten der marktwirtschaftlichen Reproduktion und deren rechtlich-politischem Korsett rüttelt.
Je überflüssiger Nationalstaaten in der globalen Welt werden, desto heftiger wird an ihnen festgehalten. Die Nationalstaaten mobilisieren ihre Kräfte, um im Kampf um geistige und materielle Ressourcen weltweit, ohne Rücksicht auf „Kollateralschäden“, die Nase vorn zu haben. Im globalen Konkurrenzkampf gibt es weder privatwirtschaftliche noch nationalstaatliche Freunde, höchstens temporäre Verbündete.

Die Konkurrenz ist ein Grundprinzip der Marktwirtschaft und beinhaltet prinzipiell die Ausschaltung des Konkurrenten. Sie kann zeitweise in relativ „geregelten“ Bahnen stattfinden, führt in Krisenzeiten aber schnell zu interner Repression und externer militärischer Auseinandersetzung. Der erster und zweite Weltkrieg haben uns mehr als deutlich gemacht, welche Vernichtungskraft die Konditionierung von Individuen und Nationen auf die Austragung von Konkurrenz entfalten kann. Im Land spüren wir zur Zeit die wachsende Konkurrenz um Arbeitsplätze und um ausreichendes Einkommen und international beobachten wir die stetig wachsende Zahl an Kriegen, gewaltsamen internen Konflikten und die Stützung korrupter Regimes, um die Sicherung von „Ressourcen“ für die führenden Industrienationen zu garantieren. Den „Verlierern“ bleibt nichts als ihre nackte Haut durch Flucht in vermeintlich lebenswertere Regionen zu retten oder vor Ort dahinzuvegetieren oder gar zu sterben.

Die „zweite (digital-) industrielle Revolution“ einerseits, und die nun auf Basis der 3D-Drucktechnologie beginnende „dritte industrielle Revolution“ andererseits, sprengen die Eigentumsform, indem sie Wissen und Produktionsmittel potentiell allen Menschen zugänglich machen. Die tatsächliche Gesellschaftlichkeit von Wissen und Produktion steht immer deutlicher im krassen Widerspruch zur privaten Aneignung. Wir erleben täglich die Versuche, digitales Wissen wieder zu kommerzialisieren, um es der Gesellschaft zum Zweck der privaten Profits zu entziehen. Um das zu gewährleisten, ist die totale Netzüberwachung ein Muss und wird immer weiter ausgebaut werden. Man muss die „Wissensdiebe“ im Netz schließlich Dingfest machen können und sie sekundierend, moralisch als Kriminelle diskreditieren. Wenn sich die 3D-Druckproduktion durchsetzt und sich die Werkelei immer mehr in die Haushalte verlagert, wird zur Kontrolle der Eigentumsrechte, der Patente und Lizenzen etc. die Überwachung mit in den Haushalt wandern. Dann werden nicht nur weiterhin die Kommunikationskanäle angezapft sondern auch audiovisuelle Überwachung bis in die Besenkammer zum Standard werden.

Die Piraten haben bisher kenntnisreiche Kritik an den Überwachungspraktiken und interessante Meinungen und Forderungen in Hinblick auf die zunehmende Vergesellschaftung des Wissens durch das Internet geliefert. Meiner Meinung nach bremsen sie sich aber dadurch aus, dass sie den Gegensatz von gesellschaftlichem Wissen und privater Aneignung nicht konsequent „nach VORNE“, sondern nach „HINTEN“ aufzulösen versuchen. Was gesellschaftlich positiv den Rahmen sprengt, soll wieder ins marktwirtschaftliche Korsett gezwängt werden. Die Piraten sind zwar „technologisch“ vorn, aber mit ihrem positiven Bezug auf die Marktwirtschaft und dem privaten Konkurrenzprinzip leider noch nicht. Selbstverständlich ist es wichtig, die Überwachung zu kritisieren. Aber diese Kritik und selbst die reale Durchsetzung von mehr Transparenz wird nichts daran ändern, dass die oben beschriebenen Prinzipien und Mechanismen herrschen und uns immer wieder zu Reagierenden degradieren.

PRISM verdeutlicht, um es einmal positiv zu sehen, welche gigantischen Kommunikations- und Wissensressourcen inzwischen der Menschheit zu Verfügung stehen. Zusammen mit der enormen Produktivität gesehen, ist alles da, um unserer Gesellschaft anders zu organisieren. Statt wie Entmündigte dem chaotischen Marktgeschehen und den sozial-politischen Ausdrucksformen der totalen Konkurrenz hinterher zu hecheln, könnten wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie eine Gesellschaft aus mündigen und tatsächlich freien Individuen aussehen könnte. Auf der Grundlage der längst vorhandenen tollen Ressourcen, könnten alle Menschen in gemeinschaftlichen kommunikativen Prozessen bestimmen, was sie benötigen, wie sie es produzieren und wie sie es untereinander verteilen möchten.

Das wäre das exakte Gegenteil einer „freien“ oder „sozialistischen Marktwirtschaft“. Digitalen Datenklau können wir uns dann als Relikt aus finsteren Zeiten im Museum zu Gemüte führen.

1 Kommentar zu “Worum es bei PRISM und Co. tatsächlich geht

  1. Ein schöner Debattenbeitrag.

    Die Dystopie einer wirtschaftlichen Konkurrenz mit dem Fluchtpunkt Monopol durch totale Wissensmacht finde ich jedoch etwas weitgehend. Wir hatten massive Wirtschaftsspionage in den letzten Dekaden – erwiesenermaßen massiv von der amerikanischen Botschaft in Bonn. Der deutschen Wirtschaft geht es weiterhin nicht schlecht. Was ich als Politikwissenschaftler zudem einwenden muss: Die Welt folgt nicht nur den Regeln des „Realismus“, der allein auf militärischen Machtzuwachs setzt, oder den Regeln des „Neorealismus“, der als Pendant wirtschaftliche Übermacht anstrebt, um die nationale Sicherheit zu garantieren. Es gibt win-win auch auf internationaler Ebene, es gibt Interdependenz. Ich stimme Dir jedoch zu: Das Internationale Recht aka Völkerrecht ist zu staatszentriert, zudem bei bilateralen und multilateralen Verträgen meist völlig undemokratisch. Wer legitimiert z.B. die Europäische Kommission mit ihrem Initiativrecht? Wer durchschaut Geheimverträge mit Überwachungsstaaten wie den USA, England, Frankreich, Deutschland? Hier hat sich eine Branche völlig abgekapselt von dem Souverän, der wir als Bürger laut vielen Definitionen noch sind.

    Beim Thema Sicherheit dürfen wir nicht mitreden. Das einzige, was wir dürfen, ist Angst haben.

    Diese müssen wir überwinden. Denn diese ist der Grund für das negative Konkurrenzstreben, das Du auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen skizzierst. Ich hoffe, die Piraten treten hier – z.B. mit dem BGE – souverän auf und lassen sich auf dieses Spiel nicht ein.

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