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Vorwärts in die Vergangenheit – Das Familienbild der CDU

Wieder einmal kommen aus einer Ecke der politischen Bühne Statements, die Beobachter glauben lassen, dass die letzten 30 Jahre LGBT-Bewegung (Lesbian/Gay/Bi/Transgender) nie stattgefunden hätten. Stein des Anstoßes sind Äußerungen von Staatssekretärin Katherina Reiche (CDU) in BILD. Da dazu bereits in umfangreicher Form überall im Netz Stellung genommen wird, wollen wir uns das Kernelement ihrer Argumentation anschauen: die Definition des Begriffes »Familie«. Leider handelt es sich hier nicht um einen »Einzelfall«, sondern um eine Grundströmung im „konservativen“ Wertekanon.

Für Konservative ist die Familie™ die tragende Säule der Gesellschaft, ohne die wir alle sinnentleert durch die Wirklichkeit wandern würden, ohne die sich die Gesellschaft schneller ändert als die katholische Kirche. Laut Frau Reiche und dem überwiegenden Teil ihrer Partei sind hierunter Ehepaare mit Kindern inklusive biologischer Abstammung zu verstehen, die »dauerhafte Verantwortungs- und Liebesgemeinschaft (natürlicher) Eltern- und Kindschaft« (Merkel/CDU Programm). Mit solchen Äußerungen werden nicht nur Homosexuelle, also schwule Männer™ und lesbische Frauen™, diskriminiert, sondern alle Menschen, die außerhalb der Gleichung „Vater + Mutter + Kind(er) = Familie“ stehen. Und somit auch alle heterosexuellen Menschen und Paare, die keine Kinder haben können oder wollen.

Für uns ist der Begriff »Familie« wesentlich komplexer: Grundsätze für eine familiäre Lebensgemeinschaft sind ein starkes Verbundenheitsgefühl, die Bereitschaft, Verantwortung füreinander zu übernehmen und damit ein auf Langfristigkeit ausgelegtes Beziehungsverhältnis. Basis hierfür ist die freie Entscheidung, Interesse am gegenseitigen und eigenen Wohlergehen sowie eine gesunde Entwicklung der Beziehung. Dies kann bei einer Gemeinschaft von ein, zwei oder mehreren Erwachsenen sowohl mit als auch ohne Kinder der Fall sein. Dies gilt unserer Ansicht nach unabhängig von sexueller Identität und Orientierung.

Doch wodurch wird eine Gesellschaft stabilisiert? Durch ausgewogene Beziehungsverhältnisse, die Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und mit Konflikten konstruktiv umzugehen und diese dauerhaft zu lösen. Unabdingbar sind auch Gerechtigkeit und die Erfüllung der Bedürfnisse des Einzelnen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Struktur des klassischen, für viele Menschen überholten Familienkonzeptes, sondern auf alle Formen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Dieselben Grundlagen und dieselbe Basis, die für Familien gelten, sind demnach auch für eine Gesellschaft das stabilisierende Element. All diejenigen, die über diese Fähigkeit verfügen, tragen zur Stabilität bei. Und dies ist unabhängig davon, wie groß die Gesellschaftsgruppe ist, zu der sie gehören.

Wir müssen der Gesellschaft die Deutungshoheit über den Familienbegriff zurückgeben und dürfen uns nicht länger von einer einzigen Gesellschaftsgruppe sagen lassen, wie wir alle zu leben haben. Vor allem brauchen wir eine Politik, die der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung Rechnung trägt, und das gilt für Patchworkfamilien ebenso wie für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Das Zauberwort heißt Vielfalt.

Zum Glück haben – selbst bei den Konservativen – Menschen die Zeichen der Zeit erkannt und fordern die (steuerliche) Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit der Ehe – ein erster Schritt in die richtige Richtung. Und ein weiteres Zeichen dafür, dass inhaltliche Arbeit wichtiger ist als Parteibuch und Linientreue. Wir freuen uns schon auf konstruktive Gespräche und eine fruchtbare Zusammenarbeit!

Fazit: Eine gesunde Gesellschaft wird durch die soziale Kompetenz ihrer Mitglieder begründet. Ein Festhalten an überholten Werten steht dem Aufgreifen zeitgemäßer Strömungen und dem konstruktiven Austausch darüber entgegen. Gehen wir weiter den Weg in Richtung selbstbestimmtes Leben, wie es die LGBT-Bewegung in den letzten dreißig Jahren vorgemacht hat. Bisher hat das niemandem geschadet, sondern nur zusätzliche Gewinner hervorgebracht. Und dagegen kann niemand etwas haben.

Die Autoren
Hauke Uphues ist das geschäftsführende Eichhörnchen der Piraten-Fraktion in Hamburg-Mitte; Es leitet seit 5 Jahren mit seinen Partnern den Polyamorie-Stammtisch in Hamburg.
Herdis Busse ist vor 17 Jahren vom Normativen-Weg abgekommen und seitdem in intensivem Austausch mit Queerdenker/innen sowie an vielen blickverändernden Projekten beteiligt; seit 6 Jahren leitet sie den Femmetisch Hamburg.

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