Aktuell Digitale Gesellschaft Kultur

Das Leistungsschutzrecht: Auf dem Weg zur Suchmaschinen-GEZ

Das 21. Jahrhundert beginnt in Deutschland mit einem großen Streit. Um die Jahrtausendwende bekommen immer mehr Bundesbürger schnelle Internet-Zugänge. Viele Unternehmen machen sich das neue Medium zunutze, um online neue Unterhaltungs- und vor allem Informationsangebote zu machen.

Auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entgeht dies nicht. Ihnen fällt kurz darauf eine richtig gute Idee ein: Warum nicht die Internetnutzer dafür zahlen lassen, dass ihnen unsere Inhalte nun am heimischen Computer statt nur im Radio oder TV zur Verfügung stehen? Die Herausforderung: Aus dem expliziten Informationsabruf im Internet (Stream oder Download) eine Sendung ohne besondere Anforderung zu machen, also eine zu empfangene Darbietung, aus der sich die berühmte Formel vom zum Empfang bereitgehaltenen Gerät ableitet. Die Lösung: Man wendet sich an Politiker und passt mit deren Hilfe die Realität einfach den Notwendigkeiten an – und erschafft das „neuartige Empfangsgerät“. Am 15. Oktober 2004 findet dieser Ausdruck mit dem 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag Eingang in den ab 1. März 2005 gültigen Rundfunkstaatsvertrag. Seit Januar 2006 fallen damit durch die GEZ eingetriebene Gebühren für internetfähige Computer und Mobiltelefone an, egal ob diese privat oder beruflich genutzt werden.

Was ist geschehen? Durch eine simple Neudefinition dessen, was als Empfangsgerät zu bezeichnen ist, haben die Rundfunkanstalten ihr Geschäftsmodell erhalten und können trotz des zu beobachtenden Medienwandels einfach weitermachen wie zuvor. „Ein Fall für zwei“ wird ja nicht deshalb eingestellt, weil es im Internet keine Zuschauer findet, sondern weil Josef Matula (Claus-Theo Gärtner) nach mehr als 30 Jahren Einsatzzeit mit der 300. Episode aufhören will. Was tun nun die Verlage? Die haben sich den Trick der Öffentlich-rechtlichen abgeschaut. Sie kritisieren, dass Suchmaschinen-Betreiber wie Google mit spezialisierten Indizes ihre Nachrichtenseiten durchsuchen und deren Inhalte als Suchergebnisse etwa bei Google News ausgeben. Anders als die Rundfunkanstalten stehen die Verlage also vor dem Problem, trotz derselben medialen Nutzungsebene einen neuartigen Anspruch zu begründen. Die Lösung: Man stellt sich einfach auf dieselbe Stufe wie so genannte Werkvermittler – und kann dann von den Aggregatoren und Suchmaschinen Geld fordern.

Die schwarz-gelben Medienprofis sind auf diesen Trick bedauerlicherweise reingefallen. Im Koalitionsvertrag von Union und FDP (S. 104) heißt es zur Begründung eines so genannten Leistungsschutzrechts: „Verlage sollen im Online-Bereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werkvermittler.“ Als Werkvermittler zählen heutzutage Anbieter von Plattformen, die Werke Dritter zur weiteren Nutzung anbieten, z.B. Musik-Downloads im eigenen Internetshop. Das Argument lautet nun, dass die Verlage als Mittler zu den Werken ihrer Redaktionen zu verstehen sind, die schützenswerte Artikel online verfügbar machen. Freilich unterschlägt dieses Argument, dass Google eventuell ebenfalls als Werkvermittler zu begreifen wäre – und der bietet seine Nachrichten-Suche immerhin sowohl für Nutzer wie auch Verlage kostenfrei an. Diese definitorische Schwierigkeit hat sich auch in den ersten Referentenentwurf des Justizministeriums eingeschlichen, da diese Uneindeutigkeit auch Blogger erfasst, die in ihrer Eigenschaft sowohl als Werkvermittler wie Urheber auftreten. Kurzum: Das Leistungsschutzrecht träfe auch Privatleute und hätte damit „etliche Kollateralschäden“ (heise.de) zur Folge – es bedarf politischer Nachsteuerung, um das Geschäftsmodell zu begründen, das zuvor anscheinend keines gewesen ist.

Insgesamt haben wir es also mit einer typisch deutschen Debatte zu tun. Zunächst heißt es: Jemand profitiere unerlaubterweise von fremden Leistungen. Anschließend tun sich die vermeintlichen Opfer zusammen, um eine gesetzliche Regelung durchzusetzen, die in Wahrheit eine neue Form der Subvention schafft. Es stellt sich dann heraus, dass neben der zur Zahlung auserkorenen Gruppe auch noch andere zur Kasse gebeten würden, die man nicht zuletzt aus PR-Gründen besser in Ruhe lassen will – der gefürchtete Schwarm… Es folgt folgerichtig das bereits erwähnte Nachsteuern. Jetzt handelt es sich bei dem Leistungsschutzrecht jedoch mehr oder minder um eine (grundgesetzlich fragwürdige) „Lex Google“, die Suchmaschinenbetreiber verpflichten soll, Abgaben für die von ihnen verlinkten Nachrichten-Artikel ihrer Nachrichten-Suchdienste zu zahlen. Etwas paradox lässt sich die Interessenlage also so zusammenfassen: Wir (die Verlage) wollen mit Hilfe SEO-optimierter Artikel von Google-Nutzern gefunden werden und wir wollen, dass Google dafür zahlt, um unsere Artikel zur Aufrechterhaltung unseres Geschäftsmodells verlinken zu dürfen. Soweit klar?

Sei es drum: Was wird passieren, falls es so kommt? Vermutlich nimmt Google die von den Verlagen benannten Angebote aus dem Index, um Strafzahlungen durch versehentlich aufgenommene Artikel zu vermeiden. Kurz danach stellt ein Verlagsmitarbeiter fest, dass die eigenen Artikel im Netz nur noch schwer aufzufinden sind, Werbepartner springen ab. Er beschwert sich: Google nutze seine Marktmacht aus, der Gesetzgeber müsse handeln! Klingt ausgedacht? In Belgien ist es 2011 genauso gekommen. Belgische Verlage ließen Google gerichtlich untersagen, ihre Artikel in der Nachrichtensuche bei Google News zu verlinken. Bei Zuwiderhandlungen drohten bis zu 25.000 Euro Strafe, natürlich pro verlinktem Artikel. Natürlich entfernte Google die entsprechenden Zeitungsangebote aus dem Index. Der Nachteil: Auch die regulären Suchfunktionen waren davon betroffen. Prompt beschwerten sich die Verlage über den „Google-Boykott“ ihrer Angebote, man unterscheide schließlich nur zwischen dem Nachrichtendienst und den normalen Suchfunktionen.

Für derart zugespitzte Diskussion gibt es, vor allem in wirtschaftlich bedeutsamen Märkten wie Deutschland und bei zahlungskräftigen Beklagten wie Google, eine ideale Blaupause. Man besteht zum Beispiel auf die Unterscheidung von Betriebssystem und Programm und begründet damit das Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung, etwa durch vorinstallierte Internet-Browser. Es zeigen sich hierbei jedoch vollkommen unterschiedliche Problemlagen. Die Verlage tun so, als sei Google ein einseitiger Profiteur, weil Werbeeinnahmen mit dem Dienst verbunden seien. Doch das Angebot wertet im gleichen Zug die Webseiten der Verlage auf, die ihre Werbeeinnahmen ebenfalls auf Basis von Page Ranks damit verbundener Relevanz für werbewirksame Zielgruppen kalkulieren. Der Dienst liefert sogar mit Überschrift, Link und Namensnennung der Quelle alle für ein qualifiziertes Zitat notwendigen Angaben aus. Damit sorgt Google nach eigenen Angaben für mehr als 100.000 Klicks pro Minute auf den Angeboten der Verlage. Daraus leiten die Verlage allerdings absolut gar nichts ab. Sie sagen nur, es müsse doch erlaubt sein, für guten Journalismus gutes Geld zu bekommen. Dafür gibt es einen Ausdruck: Chuzpe.

Darüber hinaus fallen weder für Verlage noch Nutzer Kosten beim Nachrichtendienst an. Es stellt sich daher die Frage, ob angesichts dieser Umstände überhaupt Handlungsbedarf im politischen Sinne besteht, ob wir also eine allgemein verbindliche Entscheidung brauchen. Bereits vor zwei Jahren hat sich der Blogger Daniel Schultz auf presseschauer.de an die Fraktionen von Union und FDP gewandt, um dem Phänomen eines auf Null gesunkenen Preises für ein bestimmtes Produkt nachzugehen. Er fragt: „Ist das Kommunismus?“, „Ist es erforderlich den Markt zu regulieren?“ oder „Ist es Aufgabe mündiger Unternehmen ihr Geschäftsmodell zu ändern?“ Dort findet sich auch noch ein anderes Szenario erwähnt, das den Anachronismus eines Leistungsschutzrechts in der heutigen Netzwirklichkeit spiegelt: Was soll nämlich passieren, wenn nun plötzlich fünf Prozent der bekanntesten Facebook-Nutzer von Facebook Geld verlangen würden, weil Facebook allein durch ihre Anwesenheit und damit durch ihren Traffic Geld verdiene?

Ein artverwandtes Henne-Ei-Problem gibt es derzeit bereits an anderer Stelle zu bestaunen. Wenn YouTube eine Disco wäre, müsste sie dann nicht tatsächlich für dort abgespielte Musik zahlen? Wenn Facebook eine Disco wäre, müsste sie dann nicht für die von Nutzern in Form von Beiträgen komponierte Musik zahlen? Wenn Google News eine Disco wäre, müsste sie dann nicht für die von Verlagen beziehungsweise deren Autoren komponierte Musik in Form von Artikeln zahlen? Die Verlage argumentieren, es sei falsch, die Parallele zu GEZ oder GEMA zu ziehen. Zahlen müsse ja nur, wer das Angebot nutzen möchte. Es handele sich um keine staatliche Zwangsabgabe. Dennoch beschwert sich die GEMA, wenn Youtube einen entsprechenden Hinweis bei dem Versuch ausgibt, „leistungsgeschützte Inhalte“ abzuspielen. Feige sind sie auch noch… Die bis ins Groteske verzogenen Verhandlungen zwischen Youtube und GEMA schaffen einen ersten Eindruck davon, was passiert, wenn der pekuniäre Ausgleich in der Praxis gefunden werden soll.

In der Realität konterkariert ein entsprechendes Leistungsschutzrecht die Funktion von Nachrichten-Aggregatoren, unabhängig von den individuell verhandelten Gebühren. Denn deren Aufgabe besteht im wesentlichen darin, das Netz inhaltsneutral zu indexieren. Mit einem Leistungsschutzrecht, das wenn nicht auf eine einheitliche Abgabe vermutlich auf ein Lizenzmodell hinausliefe, fragmentiert das Informationsangebot nicht mehr nur nach Themen, sondern eben auch lizenzabhängig nach Inhalten. Der Verbraucher wäre gezwungen, sich darüber zu informieren, welche Dienste über welche Lizenzen verfügen. Umgekehrt wäre zu bestimmen, wann es sich um einen Dienst mit gewerblichem Zweck handelt und wann nicht. Der von den Presseverlegern vorgestellte und bis heute zumindest im Raum stehende Vorschlag lautet, einfach pauschal zu unterstellen, dass zu gewerblichen Zwecken betriebene Vervielfältigungsgeräte für Nutzungen nach dem Leistungsschutzrecht verwendet werden (§87g Abs. 3). Damit schlösse sich der (Gebühren-)Kreis, denn diese Definition träfe de facto auf jeden von Unternehmen genutzten Computer zu.

Falls uns – also die Hamburger Piraten – heute jemand fragen sollte, was wir mit dem Begriff „Content Mafia“ meinen, dann würde der Zeigefinger auf den schwarz-gelben Referentenentwurf zeigen, der es vor allem großen und einflussreichen Verlagsgesellschaften erlaubt, aus dem im Prinzip freiwilligen Veröffentlichen von Inhalten im Internet ein Wertschöpfungsinstrument zu machen. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem ökonomischen tatsächlich ein streng politisches Argument, das auf die Entscheidung zuläuft, ob eine bestimmte Technologie für den Nutzer kostenfrei zum Einsatz kommen darf oder nicht. Abgesehen von den praktischen Nachteilen für den Verbraucher entscheidet sich die Piratenpartei Hamburg dafür, das Argument der Verlage umzukehren, wonach es jedem selbst überlassen bliebe, ob er die dann kostenpflichtigen Inhalte nutzt oder nicht. Nämlich: Es den Verlagen zu überlassen, ohne staatliche Hilfe ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das der eigenen Entscheidung Rechnung trägt, Inhalte im Netz zu veröffentlichen – oder eben nicht.

Aktuelle Informationen zum Leistungsschutzrecht gibt es im Internet unter der Adresse: www.leistungsschutzrecht.info.

1 Kommentar zu “Das Leistungsschutzrecht: Auf dem Weg zur Suchmaschinen-GEZ

  1. Thomas Michel

    [Update] Wie der Sprecher des Justizministeriums heute bestätigte, will die Bundesregierung auf ihrer morgigen Sitzung das Leistungsschutzrecht beschließen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert